Im heutigen Blogbeitrag findet man Begriffsdefinitionen, Leseliste und Videos zu Literacy, Literalität sowie zur Unterscheidung zwischen medialer bzw. konzeptueller Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Außerdem gibt es natürlich – wie immer auf dem Sprache-Spiel-Natur.de-Blog – auch einen persönlichen Sprachspinat-Tipp zur Verbindung von Sprachbildung, Naturbildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung. Diesmal geht es darum, wie man die KI ChatGPT dazu nutzen kann, um Listen mit möglichen Sprach- und Schreibprodukten im Zusammenhang mit Schulgarten oder Kräuterkisten zu erzeugen.
Begriffsdefinitionen
Literacy / Literalität
Mit diesen Begriffen bezeichnet man die Lesefähigkeit und Schreibfähigkeit. Dazu gehören:
- Die Fähigkeit, gedruckte und schriftliche Materialien in unterschiedlichen Zusammenhängen zu erkennen, zu verstehen, zu interpretieren, zu erstellen, zu kommunizieren und zu berechnen,
- die mit dem Lesen bzw. Schreiben verbundenen kulturellen Praktiken sowie
- die damit verbundenen Methoden des Lernens und Lehrens.
Das OECD Programme for the International Assessment of Adult Competencies (PIAAC) definiert Literacy als „the ability to understand, evaluate, use and engage with written texts to participate in society and achieve one’s goals“.

Tisch mit Lesespielen beim Lesementoring-Workshop für die VHS Köln
Mündlichkeit vs. Schriftlichkeit
Koch und Oesterreicher, W. (1985, 1986, 1994, 2007) haben ein sehr einflussreiches Modell von Mündlichkeit und Schriftlichkeit entwickelt, das zwei Dimensionen berücksichtigt:
- Die mediale Dimension beruht auf einer dichotomen Unterscheidung, da Information hier entweder phonisch (gesprochen) oder graphisch (geschrieben) übermittelt wird. Dazwischen gibt es keine Übergangsformen.
- Die konzeptuelle Dimension involviert hingegen ein Kontinuum zwischen Nähe bei konzeptueller Mündlichkeit (informell, spontan) und Distanz bei konzeptueller Schriftlichkeit (formell, geplant).
Spätere Erweiterungen des Modells beziehen weitere Dimensionen ein. So führte z.B. die Diskussion um neue Formen der technisch vermittelten Kommunikation zu Berücksichtigung der Dimension (A-)Synchronizität (vgl. z.B. Dürscheid 2003). Hier liegt ebenfalls ein Kontinuum vor. So liegt z.B. bei der synchronen Kommunikationsform „Telefonat“ ein gemeinsamer Kommunikationsraum vor, bei asynchronen Kommunikationsformen wie E-Mail, Fax, SMS oder Anrufbeantworternachrichten hingegen nicht. Dazwischen liegen quasi-synchrone Formen wie Chats oder der Gebrauch von Instant Messaging Apps.

Zitronenblattstecklinge eintopfen und beschriften
Leseliste
Aguado, K. (2021). Sprachliche Teilkompetenzen (1): Mündlichkeit. In: Altmayer, C., Biebighäuser, K., Haberzettl, S., Heine, A. (eds) Handbuch Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. J.B. Metzler. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04858-5_16
Bluhm, L. (2023). Mündlichkeit versus Schriftlichkeit. In L. Bluhm & S. Neuhaus (Hrsg.), Handbuch Märchen (Kap. 2). J.B. Metzler. https://doi.org/10.1007/978-3-662-66803-0_2
Böhm, M., & Roll, H. (2022). Nicht nur mehrsprachig, sondern auch mehrschriftig! Argumente für eine mehrsprachige Literalität in der Migrationsgesellschaft. Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie, 100, 43-64.
Burwitz-Melzer, E., Königs, F. G. & Riemer, C. (Hrsg.). (2014). Perspektiven der Mündlichkeit: Arbeitspapiere der 34. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Narr.
Dürscheid, C. (2003). Medienkommunikation im Kontinuum von Mündlichkeit und Schriftlichkeit: Theoretische und empirische Probleme. Zeitschrift für Angewandte Linguistik, 38(2), 169–192. http://www.uni-koblenz.de/~diekmann/zfal/zfalarchiv/zfal38_2.pdf
Dürscheid, C. (2012). Einführung in die Schriftlinguistik (3. Aufl.). Vandenhoeck & Ruprecht.
Dürscheid, C., Wagner, F., & Brommer, S. (2010). Wie Jugendliche schreiben: Schreibkompetenz und neue Medien. de Gruyter.
Feilke, H. & Henning, M. (Hrsg.). (2016). Zur Karriere von „Nähe und Distanz“: Rezeption und Diskussion des Koch-Oesterreicher-Modells. De Gruyter.
Günther, H. & Ludwig, O. (Hrsg.). (1994). Schrift und Schriftlichkeit. Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft (Bd. 10.1). De Gruyter.
Deutsche Gesellschaft für Lesen und Schreiben. (1997). Sprachen werden Schrift: Mündlichkeit-Schriftlichtkeit-Mehrsprachigkeit. Libelle.
Koch, P. & Oesterreicher, W. (1985). Sprache der Nähe – Sprache der Distanz. Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Spannungsfeld von Sprachtheorie und Sprachgebrauch. Romanistisches Jahrbuch, 36, 15–43.
Koch, P. & Oesterreicher, W. (1994). Schriftlichkeit und Sprache. In H. Günther & O. Ludwig (Hrsg.), Schrift und Schriftlichkeit (Bd. 10.1, S. 587–604). De Gruyter.
Koch, P. & Oesterreicher, W. (2007). Schriftlichkeit und kommunikative Distanz. Zeitschrift für germanistische Linguistik, 35, 291–308. https://doi.org/10.1515/zgl.2007.024
Lange, I. (2012). Von „Schülerisch“ zu Bildungssprache. In S. Fürstenau (Hrsg.), Interkulturelle Pädagogik und sprachliche Bildung (S. 117–136). VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-18785-3_7
Linde, A. (2008). Literalität und Lernen. Waxmann.
Maas, U. (2004). Geschriebene Sprache. In U. Ammon, N. Dittmar, K. J. Mattheier & P. Trudgill (Hrsg.), Soziolinguistik. Ein internationales Handbuch (Bd. 1.1, S. 633–645). De Gruyter.
Marx, N. (2023). Schreiben im DaF-Unterricht – kommunikative Ziele auf dem Prüfstand. Informationen Deutsch als Fremdsprache, 50(5), 475-491. https://doi.org/10.1515/infodaf-2023-0081
Roll, H. (2021). Sprachliche Teilkompetenzen (2): Schriftlichkeit. In C. Altmayer, K. Biebighäuser, S. Haberzettl & A. Heine (Hrsg.), Handbuch Deutsch als Fremd- und Zweitsprache (Kap. 17). J.B. Metzler. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04858-5_17
Schüttpelz, E. (2014). Mündlichkeit/Schriftlichkeit. In N. Binczek, T. Dembeck & J. Schäfer (Hrsg.), Handbuch Medien der Literatur (S. 27–40). De Gruyter. https://doi.org/10.1515/9783110295573.27
Thaler, V. (2007). Mündlichkeit, Schriftlichkeit, Synchronizität: Eine Analyse alter und neuer Konzepte zur Klassifizierung neuer Kommunikationsformen. Zeitschrift für germanistische Linguistik, 35(1–2), 146–181. https://doi.org/10.1515/ZGL.2007.007
Ulrich, K. & Michalak, M. (2019). Konzeptionelle Mündlichkeit – Konzeptionelle Schriftlichkeit. https://epub.ub.uni-muenchen.de/61755/1/Ulrich_Michalak_Konzeptionelle_Muendlichkeit_konzeptionelle_Schriftlichkeit.pdf

Ideensammlung beim VHS-Lesementoring-Workshop
Webseiten und Videos zu Literacy, Literalität, Mündlichkeit und Schriftlichkeit
- Webseite: https://petra-anders.net/deutschdidaktik
- Videos:
- Martin Haase: Sprachwissenschaft: Mündlichkeit und Schriftlichkeit
- Pädagogisch wertvoll: Das Nähe-Distanz-Modell von Oesterreicher und Koch: Alles, was du wissen musst!
- Studybreak: Konzeptionelle Schriftlichkeit, Mündlichkeit, Bildungssprache | Deutsch als Zweitsprache
- Literatur und Medienpraxis: Kathrin Röggla: „Mündlichkeit und Schriftlichkeit (2. Poetikvorlesung)“ (2.12.2014, Duisburg-Essen)

Pflanzennamen lesen und schreiben beim VHS-Lesementoring-Workshop
Mein persönlicher Sprachspinat-Tipp
Für mein Seminar Bildung für nachhaltige Entwicklung im sprachbildenden Unterricht brauchte ich Listen mit Vorschlägen zur Schreib- bzw. Sprachproduktion in der Schule, die mit dem Schulgarten oder Kräuterkisten in Verbindung stehen. Dies habe ich als Gelegenheit genutzt, mit meinen Lehramtsstudierenden den Gebrauch von ChatGPT zur Unterrichtsvorbereitung zu thematisieren. Dabei sind die folgenden Handouts entstanden, die unter der CC-BY 4.0 Lizenz (https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de) verwendet werden können:
- ChatGPT: Schreibprompts für Textsorten im Deutschunterricht mit Bezug zum Schulgarten
- ChatGPT: Unterrichtsideen für Schreib- bzw. Sprachproduktion mit Bezug zum Schulgarten (mit Beispielen für mediale und konzeptuelle Mündlichkeit bzw. Schriftlichkeit)
Ich hoffe, dass diese Handouts nicht nur Anlass zum Nachdenken und Diskutieren über den Einsatz von ChatGPT geben, sondern auch dazu anregen, im Deutsch- und Fremdsprachunterricht, aber auch in anderen Fächern, gesprochene und geschriebene Texte zum Garten oder zu Kräuterkisten zu produzieren. Wie die Ergebnisse der ChatGPT-Abfragen zeigen, bieten Pflanzen und Gärten hier nämlich sehr viele Möglichkeiten. Ich hoffe auch, dass Beispiele von ChatGPT-Prompts dazu führen, KI-Abfragen effizienter zu machen, um mehrfach nachgebesserte Prompts, die recht viel Energie verbrauchen, zu vermeiden.
Wer angesichts der Themenlisten mehr im Schulgarten unternehmen und unterrichten möchte – oder gar einen neuen Garten anlegen will – findet auf dem Blog mit dem Tag Schulgarten viele Informationen und Resourcen.
Vielen Dank an Teresa Barberio für Literatur- bzw. Webseitentips!