“Sprachbildung”, “Sprachförderung” und “Sprachtherapie” – drei unterschiedliche Arten, die Sprachentwicklung von Kindern zu unterstützen

Sprachbildung, Sprachförderung, Sprachtherapie

Die Begriffe “Sprachbildung”, “Sprachförderung” und “Sprachtherapie” tauchen häufig zusammen auf, wenn man über Aktivitäten zur Unterstützung der kindlichen Sprachentwicklung diskutiert. Diese Begriffe sind allerdings nicht gleichbedeutend, sondern unterscheiden sich – wie im Folgenden näher erläutert werden soll – im Hinblick auf (i) die sprachlichen Fähigkeiten und Bedürfnisse der Kinder und (ii) die beteiligten Personen und ihre Ausbildung. Darüber hinaus soll gezeigt werden, inwiefern die Verwendung dieser Begriffe in der Literatur geschichtliche Veränderungen im pädagogischen und klinischen Bereich widerspiegelt.

Inhalt:

Sprachbildung

Sprachbildung unterstützt den Erwerb einer weitreichenden sprachlichen Kompetenz. Diese umfasst nicht nur die Alltagssprache, sondern auch die Bildungssprache, die das Medium des Lehrens und Lernens ist. Sprachbildung erfolgt typischerweise in der Familie, in Kinderbetreuungsgruppen oder in Bildungseinrichtungen wie Kita und Schule.

Dabei kommen keine speziellen Förderprogramme oder Maßnahmen zum Einsatz. Auch eine professionelle Unterstützung durch Personen mit Logopädie- oder Heilpädagogikausbildung ist nicht erforderlich. Sprachbildung ist vielmehr alltagsbasiert: Im Alltag werden sprachliche Vorbilder, sprachliche Anregung sowie eine große Vielzahl und Vielfalt von Kommunikations- und Sprechanlässen angeboten. Dass Sprachbildung keine von anderen Bereichen getrennte Aktivität ist, zeigt sich auch bei der durchgängigen Sprachbildung in Schulen: Hier ist das Ziel, in allen Fächern den Erwerb der Bildungssprache zu unterstützen.

Abb.1: Sprachspinat-Sprachanlass essbarer Strauß

Abb.1: Sprachspinat-Sprachanlass essbarer Strauß

“Sprachförderung

Sprachförderung erfolgt, wenn individuelle Kinder oder Kindergruppen einen Nachholbedarf bei bestimmten sprachlichen Phänomenen haben. Beispielsweise kann der Wortschatz für das Alter des Kindes ungewöhnlich klein ist. Solch ein erhöhter Förderbedarf kann u.a. nach einem längeren Krankenhausaufenthalt entstehen oder wenn Kinder relativ wenig Input in der Umgebungs- oder Bildungssprache erhalten haben. Dies kann z.B. durch familiärer Umstände bedingt sein oder aber durch eine erst kürzlich erfolgte Migration.

Bei den sprachförderlichen Maßnahmen handelt es sich typischerweise um sprachanregende Aktivitäten und sprachförderliche Kommunikationsformen wie tätigkeitsbegleitendes Reden, Mehrdarbietung bzw. Erweiterungen der Kinderäußerung, Wiederholungen und Variation von Gesagtem, etc. Im Gegensatz zur Sprachbildung, die den sprachlichen Entwicklungsprozess von Kindern kontinuierlich begleitet, sind Sprachfördermaßnahmen typischerweise zeitlich begrenzt.

Sprachfördermaßnahmen lassen sich nach ihrem Kontext klassifizieren: Additive Sprachfördermaßnahmen finden in zusätzlichen  Fördergruppen oder individuellen Fördersitzungen statt (z.B. 2 mal in der Woche für 20 Minuten). Bei alltagsintegrierten Sprachfördermaßnahmen sind die sprachförderlichen Aktivitäten und Kommunikationsformen hingegen in alltägliche Sprech- und Spielsituationen eingebunden.

Darüber hinaus unterscheiden sich Sprachförderansätze darin, unter welchen Bedingungen entsprechende Maßnahmen erfolgen: Bei manchen Ansätzen erfolgen Maßnahmen erst nach der Feststellung eines vorliegenden Förderbedarfs. Dies ist oft bei Maßnahmen für individuelle Kinder der Fall. Bei anderen Ansätzen nehmen alle Kinder der betreffenden Gruppe an Sprachfördermaßnahmen teil, ohne dass vorher individuelle Sprachbeobachtungen und Sprachstandsermittlungen stattfinden. Dies bietet sich z.B. bei einer Gruppen mit vor kurzem immigrierten mehrsprachigen Kindern an, bei der davon auszugehen ist, dass die meisten (oder gar alle) Kinder in der Gruppe bislang relativ wenig Input in der Bildungssprache des neuen Aufenthaltslandes erhalten haben.

Abb.2: Sprachspinat-Sprachanlass Kressewiese

Abb.2: Sprachspinat-Sprachanlass Kressewiese

Sprachtherapie

Sprachtherapie erfolgt nur dann, wenn mit entsprechenden klinischen Verfahren eine Störung diagnostiziert wurde, die nicht einfach durch mehr oder vielfältigeren sprachlichen Input ausgeglichen werden kann. Bei der diagnostizierten Störung kann es sich um eine Sprechstörung handeln, z.B. um Lispeln oder andere Probleme bei der Artikulation. Es kann aber auch eine Sprachstörung vorliegen, d.h. eine Störung des Sprachsystems selbst, die sich z.B. in der nicht-zielsprachlichen Verwendung grammatischer Strukturen zeigt.

Für die Planung und Durchführung der Therapie sind logopädische Fachkräfte verantwortlich. Diese können allerdings auch Menschen im Umfeld der Kinder Anleitungen zur weiteren therapiebegleitenden Unterstützung der kindlichen Sprachentwicklung geben.

Abb.3: Sprachspinat-Sprachanlass Pflanztöpfe für den Balkon

Abb.3: Sprachspinat-Sprachanlass Pflanztöpfe für den Balkon

Sprachbildung, Sprachförderung und Sprachtherapie in der pädagogischen Literatur

Eine Diskussion der Unterscheidung zwischen Sprachbildung und Sprachförderung findet man z.B. in den “Niedersächsischen Handlungsempfehlungen zur Sprachbildung und Sprachförderung  von 2012” (pdf-Download): “Mit Sprachförderung sind die pädagogischen Tätigkeiten der gezielten Anregung und Begleitung bei der Entwicklung einer speziellen sprachlichen Fähigkeit gemeint. Dies kann sich auf den individuellen Fall beziehen – etwa, wenn bemerkt wird, dass ein einzelnes Kind Schwierigkeiten mit der Bildung bestimmter Laute oder eines einzelnen grammatischen Phänomens hat. Es kann sich aber auch an Kindergruppen richten, die eine besondere Unterstützung dabei benötigen, die nächste Hürde in der sprachlichen Entwicklung zu nehmen. Förderung ist also auf spezifische sprachliche Phänomene gerichtet und wird in der Regel beendet werden, wenn die angestrebte Entwicklung erreicht ist.
Sprachliche Bildung hingegen begleitet den Prozess der Sprachaneignung kontinuierlich und in allen Facetten, die im jeweiligen Entwicklungsstadium relevant sind. Sie zielt darauf ab, dass Kinder Sprachanregung und Begleitung erleben, die dem Ausbau ihrer sprachlichen Fähigkeiten insgesamt zugutekommen, also auch jenen sprachlichen Fähigkeiten, in denen ein besonderer Förderbedarf im obigen Sinne nicht gegeben ist. Sprachliche Bildung richtet sich an alle Kinder; sie führt zu einer weitreichenden sprachlichen Kompetenz, verstanden als die Fähigkeiten, sich in den unterschiedlichsten Situationen angemessen und nuancenreich ausdrücken zu können und vielfältigen Verstehensanforderungen gerecht zu werden. Sprachbildung ist damit die systematische Anregung und Gestaltung von vielen und vielfältigen Kommunikations- und Sprechanlässen im pädagogischen Alltag der Kindertageseinrichtungen.”

Eine gute Zusammenfassung der Unterschiede zwischen allen drei diskutierten Begriffen bietet ein Artikel im Fachmagazin Kiga-heute (1/2020): “Obwohl die Begriffe Sprachbildung und Sprachförderung oft synonym verwendet werden, bezeichnen sie nicht exakt das Gleiche. Sprachliche Bildung benötigen alle Kinder, und zwar von Geburt an und auch weit über das Kita- und Grundschulalter hinaus. Denn die Sprachentwicklung ist – gerade was den Wortschatz betrifft – nie abgeschlossen. Sprachförderung hingegen setzt einen zusätzlichen Bedarf voraus und eine gezielte Beobachtung durch die Fachkräfte, auf deren Erkenntnisse die Fördermaßnahmen abgestimmt werden sollten.
Wichtig ist, eine Abgrenzung zwischen Sprachförderung und Sprachtherapie vorzunehmen. Nicht alle sprachlichen Auffälligkeiten lassen sich durch pädagogische Maßnahmen verbessern oder gar beheben. Lispeln, Stottern oder die fehlerhafte Artikulation verschiedener Laute gehören beispielsweise immer in den Fachbereich von Logopäd*innen oder ähnlich spezialisierten Fachkräften.”

Abb.4: Sprachspinat-Sprachanlass Unterschiede in Pflanzenbildern finden

Abb.4: Sprachspinat-Sprachanlass Unterschiede in Pflanzenbildern finden

Die geschichtliche Entwicklung von “Sprachbildung”, “Sprachförderung” und “Sprachtherapie”

Die Begriffe “Sprachbildung”, “Sprachförderung” und “Sprachtherapie” unterscheiden sich nicht nur in ihrer Bedeutung, sondern auch in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Dies kann man in Abb. 5 sehen.


Abb. 5: Google Ngram für “Sprachbildung”, “Sprachförderung” und “Sprachtherapie”

Der Begriff “Sprachbildung” war aufgrund der Reform des deutschen Bildungssystems im 19. Jahrhundert bereits zu Beginn des Analysezeitraums geläufig. Sprachbildung spielte auch später immer wieder eine wichtige Rolle in der Bildungsdiskussion, insbesondere in reformpädagogischen Initiativen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, beim Wiederaufbau des deutschen Bildungssystems nach 1945 sowie in der bundesdeutschen Bildungsreform der 1960er- und 1970er-Jahre.

Der Begriff der Sprachförderung wurde hingegen erst ab den späten 1960ern verbreiteter. Damals kam es vermehrt zu Migrationsbewegungen von “Gastarbeitern” und Spätaussiedelnden aus ehemals deutschen Gebieten. Hierdurch erhöhte sich der Anteil von Kindern im Bildungssystem, bei denen Deutsch nicht die Sprache des Elternhauses war. Es fehlte anfangs aber ein Gesamtkonzept, da Bildungspolitik weitestgehend in der Verantwortung einzelner Länder lag. Außerdem befassten sich unterschiedliche Institutionen mit unterschiedlichen Gruppen von Zugewanderten.

2001 erstellte die Zuwanderungskommission dann einen Bericht über die aktuelle Situation und empfahl, gute Sprachkenntnisse zur Voraussetzung für einen unbefristeten Aufenthalt zu machen. Gleichzeitig schlug sie einen Integrationskurs vor, der zum Grundangebot des Bundes für die Förderung des Spracherwerbs von Ausländern und Spätaussiedlern weiterentwickelt wurde. Die entsprechenden Diskussionen und die sich daraus ergebenden Maßnahmen könnten dazu beigetragen haben, dass der Begriff “Sprachförderung” um 2001 einen starken Anstieg der Verwendungshäufigkeit zeigt. Wie sich die Verwendung des Begriffs “Sprachförderung” nach den Migrationsbewegungen der letzten Jahre veränderte, kann man mit Hilfe von Google Ngram nicht untersuchen, da noch keine entsprechende Datengrundlage vorliegt.

Während “Sprachförderung” in Abb.5 zu Beginn des Analysezeitraums noch überhaupt nicht vorkommt, tritt “Sprachtherapie” zumindest gelegentlich bereits um 1900 auf. Dies könnte damit zusammenhängen, dass 1887 in Potsdam erstmals eine Ausbildung für “Sprachheilkundler“ angeboten wurde.  Abb.5 zeigt nach dem zweiten Weltkrieg einen geringfügigen Anstieg im Gebrauch des Begriffes “Sprachtherapie”. Ein deutlicherer und nachhaltiger Anstieg ist aber erst um 1970 herum zu erkennen. Ein Grund dafür könnte sein, dass in dieser Zeit über die Rehabilitationsangleichungsgesetze diskutiert wurde. Diese wurden 1974 eingeführt und sorgten dafür, dass die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für eine logopädische Therapie übernahmen.

Abb.6: Sprachspinat-Sprachanlass Kräuterketten

Abb.6: Sprachspinat-Sprachanlass Kräuterketten

Fazit

Insgesamt betrachtet unterscheiden sich Sprachbildung, Sprachförderung und Sprachtherapie somit – wie eingangs erwähnt – in Bezug auf (i) die sprachlichen Fähigkeiten und Bedürfnisse der Kinder sowie (ii) die beteiligten Personen und ihre Ausbildung: Sprachbildung soll alle Kinder kontinuierlich beim Erwerb von Kommunikationskompetenzen unterstützen. Bei der Sprachförderung liegt demgegenüber ein besonderer Bedarf vor. Dieser erfordert eine zeitlich begrenzte pädagogische Maßnahme mit gezielten sprachanregenden und sprachunterstützenden Aktivitäten. Eine Sprachtherapie ist hingegen bei einer diagnostizierten Sprach- oder Sprechsstörung vorgesehen und erfolgt durch logopädisch geschulte Fachkräfte. Sowohl die gezielte pädagogische Sprachförderung als auch die Sprachtherapie sind dabei im Gegensatz zur Sprachbildung relativ neue Phänomene. Dies spiegelt sich auch in der steigenden Verwendungshäufigkeit dieser Begriffe in der Literatur wider.

Mein persönlicher Sprachspinat-Tipp

Auch wenn Sprachbildung, Sprachförderung und Sprachtherapie voneinander zu unterscheiden sind, sind sie doch alle für die pädagogische Praxis relevant. Zum einen findet man oft in derselben Gruppe (i) Kinder mit typischer Sprachentwicklung, die keinen speziellen Sprachförderbedarf haben, (ii) Kinder mit Sprachförderbedarf, der nicht durch eine klinische Störung bedingt ist sowie (iii) Kinder mit diagnostizierten Sprach- bzw. Sprechstörungen. Alle drei Gruppen von Kindern profitieren – unabhängig von zusätzlichen speziellen pädagogischen oder logopädischen Maßnahmen davon, wenn es Fachkräften in Bildungseinrichtungen gelingt, im Alltag zahlreiche und vielfältige Sprachanlässe zu schaffen und sich sprachförderlich zu verhalten. Dabei kann es hilfreich sein, die Suche nach sprachanregenden Aktivitäten breit anzulegen und sich Inspiration in unterschiedlichen Typen von Publikationen und auf Webseiten zu Sprachbildung, Sprachförderung und Sprachtherapie zu holen – auch wenn Unterschiede zwischen den Begriffen und ihrer Rolle im Alltag bestehen. Einige Anregungen findet man in den Abbildungen in diesem Blogbeitrag, auf meiner YouTube-Playlist zu Sprachbildung, Sprachförderung und Sprachtherapie sowie auf mehreren meiner Pinterest Boards.

Abb.7: : Sprachspinat-Sprachanlass Insektennisthilfe

Abb.7: : Sprachspinat-Sprachanlass Insektennisthilfe