Erkenntnisse, Datensätze und Publikationen aus dem Projekt „Sprachkompetenzen neuzugewanderter Schülerinnen und Schüler im Regelunterricht“ (SpraNZiR) des Mercator-Instituts für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache

Das SpraNZiR-Projekt zu "Sprachkompetenzen neuzugewanderter Schülerinnen und Schüler im Regelunterricht" und seine TeilprojekteDas SpraNZiR-Projekt zu "Sprachkompetenzen neuzugewanderter Schülerinnen und Schüler im Regelunterricht" und seine Teilprojekte

Das Projekt „Sprachkompetenzen neuzugewanderter Schüler:innen im Regelunterricht“ (SpraNZiR), in dem ich von 2021 bis 2024 wissenschaftlich tätig war, wurde jetzt mit einem Bericht und der Veröffentlichung eines Datensatzes für die weitere Forschung offiziell abgeschlossen. Natürlich werden wir die erhobenen Daten aber noch weiter auswerten und auf der Basis unserer Befunde zusätzliche Studien durchführen, um verbleibende Fragen zu klären. Außerdem gehen unsere Einsichten aus dem SpraNZiR-Projekt jetzt in unsere Seminare zur Lehrkraftausbildung ein und wir entwickeln Lernmaterialien für Schulen und außerschulische Förderung, die auf diesen Erkenntnissen aus dem Projekt beruhen.

Wir danken allen beteiligten Kindern und Jugendlichen sowie ihren Eltern und Schulen für ihre Beteiligung an unserer Studie! Ihnen ist der heutige Beitrag gewidmet. Hier findet man:

Außerdem gibt es natürlich – wie immer auf dem Sprache-Spiel-Natur.de-Blog – auch einen persönlichen Sprachspinat-Tipp zur Verbindung von Sprachbildung, Naturbildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung. Diesmal geht es um einen Curriculumsentwurf Vorbereitungskurse für Neuzugewanderte und eine Unterrichtsreihe zu Plastik im Ozean.

Das Projekt und seine Teilprojekte

Nach aktuellen Informationen (Destatis, 2023) machen zugewanderte Kinder und Jugendliche ca. 13% der Schulpopulation aus; und insgesamt gehören 9% aller Menschen zwischen 5 und 20 Jahren zu den Neuzugewanderten. Aufschluss über die sprachlichen Fähigkeiten dieser Gruppe zu erlangen, um bessere Sprach- und Integrationsangebote machen zu können, ist angesichts dieser Zahlen sehr dringlich. Dieser Aufgabe stellte sich das SpraNZiR-Projekt am Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache, das an der Universität zu Köln angesiedelt war.

Das Projekt begann mit einer Analyse bereits vorliegender Daten aus dem NEPS-Projekt und einem Scoping Review, in dem die bisherige Literatur zu den sprachlichen Kompetenzen neuzugewanderter Kinder und Jugendlicher im deutschen Bildungssystem untersucht wurden. Davon ausgehend wurden eigene Daten erhoben: Insgesamt untersuchten wir von Anfang 2021 bis Mitte 2024 die Sprachkompetenzen von 344 Kindern und Jugendlichen aus der 5. bis 8. Klasse, die am Regelunterricht in deutschen Schulen in NRW teilnahmen. Dabei waren 115 dieser Kinder bzw. Jugendlichen im schulfähigen Alter aus unterschiedlichen Ländern nach Deutschland zugewandert, hatten also nicht von Anfang an am Unterricht in Deutschland teilgenommen. Die übrigen Kinder besuchten dieselben Klasen, wurden aber bereits in Deutschland eingeschult und stellten so die Vergleichsgruppe für die Studie dar. Auch in dieser Vergleichsgruppe waren zahlreiche Kinder mehrsprachig. Daher erfassten wir die Sprachkenntnisse und Heimatländer der Kinder sowie die Verwendung ihrer Sprachen in Schule und Familie durch einen selbstentwickelten Fragebogen.

Der Schwerpunkt der Studie lag auf den Lesefähigkeiten im Deutschen und den Wortschatzleistungen im Deutschen und Englischen. Dabei wurden die folgenden Erhebungsinstrumente eingesetzt:

Außerdem wurde der Einsatz von Instrumenten zur Untersuchung der Sprachbewusstheit von Lernenden für zukünftige Studien erprobt. Dabei kam neben einem selbstentwickelten Instrument auch der Mehr-Sprachig-Kompetent MSK 9-12 Test zum Einsatz.

Infobroschüre des Projekts Sprachkompetenzen neu zugewanderter Schülerinnen und Schüler im Regelunterricht

Infobroschüre des SpraNZiR-Projekts zu Sprachkompetenzen neu zugewanderter Schülerinnen und Schüler im Regelunterricht

Erste Erkenntnisse aus dem SpraNZiR-Projekt

Im Projektbericht findet man eine ausführlichere Diskussion der ersten Erkenntnisse aus dem Projekt, hier in Kürze die wichtigsten Befunde:

Lesen

  • Die Ergebnisse der neuzugewanderten Kinder und Jugendlichen lagen deutlich unter denen der Vergleichsgruppe in Bezug auf Leseverstehen und Lesegeschwindigkeit.
  • Die Leistungen der Neuzugewanderten verbesserten sich zwar im Laufe eines Schuljahres zwar, blieben aber dennoch hinter den Leistungen der Vergleichsgruppe zurück und näherten sich im zweijährigen Erhebungsverlauf nicht weiter an die Leistungen der Kontrollgruppe an.

Wortschatz Deutsch

  • Der Test erwies sich als geeignet für die untersuchten Kinder und Jugendlichen: Sie konnten ihn in der Gruppe online an Tablets durchführen.
  • Sowohl Neuzugewanderte als auch die Vergleichsgruppe erkannten Wörter, die häufig in Texten auftreten, besser als seltener auftretende Wörter.
  • Insgesamt erkannte die Vergleichsgruppe in allen Häufigkeitsbereichen deutlich mehr Wörter als die Neuzugewanderten.
  • Bei den Neuzugewanderten waren große inter-individuelle Unterschiede zu beobachten, die u.a. auf die Beschulungsdauer und den Deutschgebrauch innerhalb der Familie zurückzuführen zu sein scheinen. Diesen Punkt wollen wir in umfangreicheren Studien zu den Gelingensbedingungen für den Wortschatzerwerb genauer untersuchen.
  • Außerdem werden wir untersuchen, wie gut die untersuchten Kinder und Jugendlichen Wörter beherrschen, die häufig bzw. selten in Schulbüchern auftreten. Dazu arbeiten wir mit einem Projekt zusammen, das die Wörter in Schulbüchern untersucht und eine Datenbank dieser Wörter zur Verfügung stellt.

Wortschatz Englisch

  • Der Test erwies sich als geeignet für die untersuchten Kinder und Jugendlichen. Die Daten werden noch ausgewertet.

Sprachbewusstheit

  • Beide Untersuchungsinstrumente, der selbstentwickelte Fragebogen und der MSK-Test, zeigten Potential für weitere Untersuchungen.
  • Es sind jedoch noch Modifikationen und Ergänzungen erforderlich, um die Verständlichkeit der Aufgabenstellung zu gewährleisten und verschiedene Aspekte von Sprachbewusstheit untersuchen zu können.

Insgesamt zeigten sich große und über die Untersuchungszeit bestehenbleibende Leistungsunterschiede. Dies galt auch für Zugewanderte, die nicht von Anfang an in einer deutschen Schule waren, aber schon mehrere Jahre in Deutschland beschult wurden. Die ersten Befunde zeigen also die Notwendigkeit, die Beschulung von Neuzugewanderten zu verbessern. Gleichzeitig verdeutlichten die beobachteten inter-individuellen Unterschiede die Notwendigkeit, umfangreichere und detailliertere Studien zu den Gelingensbedingungen für die sprachliche und schulische Integration durchzuführen. Zugleich sollten unsere Ergebnisse in die Lehrkraftaus- und -fortbildung einbezogen werden. Dies tun wir jetzt in unserer eigenen Hochschullehre und anderen Veranstaltungen für (angehende) Lehrkräfte.

(1995-2022) Registrierte Asylanträge in Deutschland. Roy Zuo, CC BY-SA 4.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0>, via Wikimedia Commons

(1995-2022) Registrierte Asylanträge in Deutschland. Roy Zuo, CC BY-SA 4.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0>, via Wikimedia Commons

Projektteam

Das SpraNZiR-Projekt wurde von Prof. Dr. Nicole Marx, einer Direktorin des Mercator-Instituts, geleitet. Projektkoordinatorin war Dr. Teresa Barberio (jetzt an der Universität Münster) und zu meinen Aufgaben gehörten – neben der Mitarbeit im Wortschatz-Teilprojekt – die Methodenberatung. Weitere Forschende und Studierende im Projekt waren Prof. Dr. Evghenia Goltsev, Jun.-Prof. Dr. Nora von Dewitz, Dr. Stefanie Bredthauer, Dr. Melanie Fuchs, Dr. Annina Hessel, Leonie Regina Twente, Claus Caspari, Anastasia Knaus, Julia von Behring, Clara Burgwinkel, Anna Gorsch, Kyra Kashigin, Max Kronen, Juliette Thiessen.

Daten

Der folgende Datensatz aus dem Projekt steht Forschenden für weitere Auswertungen zur Verfügung:

  • Marx, N., Barberio, T., Twente, L., Fuchs, M., Eisenbeiß, S., von Dewitz, N., Bredthauer, S. & Goltsev, E. (2025). Sprachkompetenzen neuzugewanderter Schülerinnen und Schüler im Regelunterricht (SpraNZiR) (Version 1) [Datensatz]. Berlin: IQB – Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen. https://doi.org/10.5159/IQB_SpraNZiR_SUF_Off-site_v1

Wir haben Vortrag dazu gehalten, wie wir die Daten veröffentlichen und dennoch die Anonymität der Beteiligten garantieren konnten. Die Vortragsfolien findet man frei zugänglich im OSF-Archiv:

Eisenbeiß, S., Twente, L., & Barberio, T. (2025): Reproducibility Anonymity, data protection, privacy, and open data – lessons from a project on newly immigrated school children in Germany. Vortrag bei ReproducibiliTea HumaniTeas, Universität zu Köln (13.01.2025). Verfügbar unter https://osf.io/ev5kt

Karte Flüchtlingskrise in Europa 2015 - Herkunftsländer der Asylsuchenden. Maximilian Dörrbecker (Chumwa), CC BY-SA 2.5 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5>, via Wikimedia Commons

Maximilian Dörrbecker (Chumwa), CC BY-SA 2.5 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5>, via Wikimedia Commons

Literatur

Die folgenden Publikationen aus dem Projekt sind bereits erschienen. Zukünftige Publikationen werden auf der Projektwebseite erscheinen.

  • Caspari, C. & Marx, N. (2024). OSF Project: Language Skills of Immigrant Schoolchildren in Germany: A Re-Analysis of the NEPS Panel Study Data. https://doi.org/10.31219/osf.io/qm75k
  • Caspari, C. & Marx, N. (2022). Language Skills of Immigrant Schoolchildren in Germany: a Re-Analysis of the NEPS Panel Study Data. https://doi.org/10.17605/OSF.IO/3VQE6
  • Goltsev, E. & von Dewitz, N. (2023). Studien zu schulisch relevanten Kompetenzen neu zugewanderter Schüler*innen – Ein Scoping Review zur aktuellen Forschungslandschaft. Zeitschrift für interkulturellen Fremdsprachenunterricht, 2(28), 267–288. https://doi.org/10.48694/zif.3732
  • Marx, N. (2024). Expert:innen braucht das Land! Zur Bildung von Lehrenden für zugewanderte Schüler:innen. In: Konzeption, Gelingensbedingungen und Qualität fremd- und zweitsprachendidaktischer Hochschullehre. Arbeitspapiere der 44. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts (pp. 123-132). Narr Francke Attempto
  • Marx, N., Barberio, T., Twente, L. R., Fuchs, M., Eisenbeiß, S., von Dewitz, N. & Bredthauer, S. (2024). Abschlussbericht zum Projekt „Sprachkompetenzen neuzugewanderter Schülerinnen und Schüler im Regelunterricht“ (01.2021-06.2024). Köln: Kölner UniversitätsPublikationsServer. https://kups.ub.uni-koeln.de/75027/

Blogartikel auf der Sprache-Spiel-Natur.de-Webseite

Auf dem Sprachspinat-Blog sind bereits die folgenden Beiträge zum SpraNZiR-Projekt erschienen:

Weitere Blogartikel zum Projekt, insbesondere zu weiteren Publikationen, die in Zukunft erscheinen werden, findet man mit dem Tag SpraNZiR.

Plastic Ocean (4408273247)

Ozean-Plastik (https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/e/e7/Plastic_Ocean_%284408273247%29.jpg; Kevin Krejci from Near the Pacific Ocean, USA, CC BY 2.0 <https://creativecommons.org/licenses/by/2.0>, via Wikimedia Commons)

Mein persönlicher Sprachspinat-Tipp

Die im SpraNZiR-Projekt beobachteten Verzögerungen bei der sprachlichen Entwicklung zeigen, dass der Übergang von neuzugewanderten Kindern und Jugendlichen in den Regelunterricht noch verbessert werden muss. Beim heutigen Sprachspinat-Tipp geht es daher darum, wie man diesen Übergang besser gestalten und dabei gleichzeitig Sprachbildung, Naturbildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung verbinden kann. Als Beispiel möchte ich dabei einen Curriculumsentwurf und eine Unterrichtsreihe zu Plastik im Ozean anführen, die in den folgenden Publikationen beschrieben wird:

In vielen Bundesländern besuchen neuzugewanderte Kinder und Jugendlichen einen (oft einjährigen) Vorkurs und werden Schritt für Schritt in den Regelunterricht integriert. Es gibt aber auch Modelle mit voller oder teilweiser Integration von Anfang an (s. Massumi und von Dewitz, 2015). Außerdem gibt es keine einheitlichen Lehrpläne für Vorkurse, die für alle Bundesländer gelten, die solche Kurse anbieten; und selbst innerhalb der einzelnen Länder ist die Gestaltung von Vorkursen oft sehr uneinheitlich und es fehlen attraktive Unterrichtsmaterialien. Es besteht somit ein Bedarf nach Vorkurscurricula und Materialien. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass gleichzeitig auch ein steigender Bedarf nach Materialien zur Bildung für nachhaltige Entwicklung zu beobachten ist.

Der in den o.a. Publikationen vorgestellte Curriculumsentwurf berücksichtigt die sehr heterogenen Voraussetzungen und starke Fluktuation in Vorkursen durch sprachliche und inhaltliche Ausdifferenzierung. Zugleich wird anhand einer konkreten Unterrichtsreihe mit Nachhaltigkeitsthematik die Vorbereitung auf den Fachunterricht gezeigt.